You lipread and don’t really sign.
You’re deaf but don’t sound or look deaf
You’re definitely not a hearie.
You’re somewhere in between. Where do you fit?
„Ich war gut hörend, zunächst leicht, mit den Jahren hochgradig schwerhörig und bin mittlerweile ertaubt. Meine Aussprache ist so gut, dass ich die meisten Leute (und auch lange Zeit mich selbst) glauben ließ, ich wäre hörend. Ich interpretiere und kombiniere – manchmal auch falsch, aber auch oftmals so nah, dass ich mehr verstehe, als Guthörende hören.“
– Facebook, Oliver Hupka | August 2012
Die Entscheidungsfindung
Im Frühjahr 2012 war ich medizinisch gesehen ertaubt. Mein ganzes Leben lang wusste ich, dass dieser Tag früher oder später kommen würde. Bei einer beidseitigen sensorineuralen Innenohrschwerhörigkeit mit schleichendem progredienten Verlauf, bedarf es keiner Propheten um dies zu wissen. Vielleicht nahm ich die Nachricht auch deshalb relativ gelassen auf. Vielleicht aber auch, weil ich mich selbst gar nicht taub wahrnahm und es sich längst nicht so endgültig anfühlte, wie ich es immer erwartet hatte.
Auf Anraten meines HNO Arztes – naja, ehrlicher ist es wohl zu sagen, auf Drängen meines HNO Arztes (Dr. Samir El-Bitar) -, trat ich eine 5-wöchige stationäre Reha in der Kaiserberg-Klinik Bad-Nauheim an. Sein beabsichtigtes Ziel war es, mich dem Thema Cochlea Implantat anzunähern und mir Informationen aus erster Hand zu ermöglichen. Meines hingegen war – ganz offen gesprochen -, einen schönen „Urlaub“ zu verbringen. Ich hatte in der Vergangenheit 2 CI-Träger (Frühertaubte ohne Sprachentwicklung) kennengelernt und prompt die Entscheidung gefällt „Nein, Danke“.
Als ich Mitte Mai nach 5 Wochen die Kaiserberg-Klinik verließ hatte ich bereits alle Voruntersuchungen absolviert, meine einstige Meinung revidiert und einen OP Termin für die zeitgleiche bilaterale CI-Versorgung am 27. August 2012.
Was war in der Reha passiert?
Ich musste erkennen, wie schlecht ich tatsächlich höre und wie sehr ich doch von meiner Empathie, meiner Fähigkeit zu kombinieren und dem Ablesen von Mundbild, Gestik und Mimik abhängig bin. Viel schlimmer jedoch, wie viel Anstrengung mich dies mittlerweile kostete und wie müde und erschöpft ich dadurch täglich war. Im Antrag auf Kostenübernahme der CI Versorgung schrieb ich später in einer persönlichen Stellungnahme: „die enormen Anstrengungen führen mittlerweile auch zu einer emotionalen Ertaubung, ich reagiere gereizt auf meine engsten Mitmenschen und mir fehlt die Kraft und Geduld nachzufragen, wenn ich etwas nicht verstanden habe“.
Ich lernte in der Reha viele CI Träger kennen, Menschen die mich nachhaltig geprägt und meine Ansichten über das CI komplett verändert haben. Ärzte, Therapeuten, Psychologen und -nicht zuletzt- andere Patienten. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich entschieden, ich möchte diese Chance ergreifen. Ich war mir der Risiken bewusst, aber in Anbetracht der Potentiale, war ich bereit sie einzugehen. Seit dem ich die Entscheidung getroffen hatte bewegte mich nur noch eine Frage: „Mit welchem Ohr beginnen wir?“
Dass ich eine beidseitige Versorgung anstrebe, war von Beginn an klar. Mein Leben lang trug ich auf beiden Ohren Hörgeräte, war „Stereo-“ und Richtungshören gewohnt. Gerade als ich schon eine Münze werfen wollte (die Hörkurven meiner Ohren waren nahezu identisch), lernte ich Frau Dr. Silke Helbig kennen, die mich mit folgendem Satz aus der Bahn warf: „Wieso machen wir nicht beide Seiten in einer OP?“
Gründe für die zeitgleiche bilaterale Versorgung
Ja, die Vorteile waren allzu offensichtlich, nur eine OP, ein Krankenhausaufenthalt, eine Anschluss-Rehabilitation. Es war zu erwarten, dass alles viel schneller gehen würde, ich weniger Ausfallzeiten im beruflichen Alltag haben würde und körperlich wie seelisch, schneller wieder “fit” bin. Je mehr ich mich mit diesem Gedanken auseinandersetze, desto mehr Vorteile entdeckte ich. Ich würde zeitgleich mit dem selben “System” versorgt zu werden. Ich kenne inzwischen viele CI Träger, die Modell A auf dem einen und Modell B auf dem anderen Ohr tragen, mit verschiedenen Fernbedienungen und technischen Hilfsmitteln hantieren. Ich erhoffte mir weniger Verwaltungsaufwand, Anträge und Behördengänge, vor allem ein Gedanke trug aber letztendlich zu der Entscheidung für die zeitgleiche bilaterale Versorgung maßgeblich bei: Mir würde nichts anderes übrig bleiben, als mit den Cochlea Implantaten zurecht zu kommen. Kein Hörgerät mehr, an das ich mich hätte klammern können (was ich leider auch heute noch sehr oft bei anderen Patienten erlebe), ich war zum Trainieren gezwungen.
Meine Sorgen, meine Ängste
Ich kannte niemanden, der diesen Schritt gewagt hat, den ich hätte fragen können. Ich wusste damals, dass viele Taubgeborene im frühsten Kindesalter bilateral versorgt werden, aber die Kommunikation mit Säuglingen gestaltet sich schwierig. Dr. Zeh, Chefarzt der Abteilung HTS in der Kaiserberg-Klinik und selbst beidseitig implantiert sagte zu mir: “ganz ehrlich, ich hätte Angst, das ist ein sehr großer Schritt. Aber wenn Sie mutig sind, dann machen Sie es”. Leider besteht oftmals ein schmaler Grat zwischen Mut und Leichtsinnigkeit. Mir war bewusst, dass ich in der Zeit nach der OP völlig taub sein würde, aber die wenigen Wochen schreckten mich nicht ab. „Enjoy the Silence“, sagte ich mir und das war im Nachhinein der einzige Fehler, den ich begannen habe.
Die OP und der Klinikaufenthalt
Am 27. August 2012 erwachte ich nach 6 Stunden OP in meinem Zimmer und der erste Gedanke war: „Mist – sie haben mich gar nicht operiert“. Ich hatte keinerlei Schmerzen, keinen Schwindel, keine Beschwerden. Erst als ich meinen schicken Turban ertastete und vor dem Spiegel betrachtete wusste ich, das war es tatsächlich schon. Die OP verlief optimal, die Elektrodenlage war ideal und die Wundheilung ging rasend schnell. Es war ungewohnt, in absoluter Stille das Treiben und Leben in einem Klinikum zu beobachten, aber wirklich jeder, der mich in den 5 Tagen Aufenthalt besuchte, sagte mir, wie entspannt und gelassen ich wirkte. Es war nicht gespielt, ich musste nicht tapfer sein, ich war angstlos und erleichtert, dass die Schokolade noch nach Schokolade schmeckte und mein Lachen nach wie vor vorhanden war.

Füttern der Tauben ist strengstens verboten
Gefangen in der Taucherglocke
Am 8. September 2012, 12 Tage nach der OP und wieder zu Hause, fern von der schützenden Klinik-Atmosphäre war mein Lachen jedoch verschwunden. Um einer Hirnhaut- und sonstigen Entzündungen vorzubeugen, wurden insgesamt 10 Tage Antibiotika verabreicht. Die Nebenwirkungen (Müdigkeit, Erschöpfung und Magenprobleme) machten sich deutlich bemerkbar. So schmerzfrei und unkompliziert die OP rein körperlich verlaufen war, so sehr belastete sie mich plötzlich seelisch und emotional. Ich musste mir eingestehen, dass ich trotz aller “Vorbereitung” nicht wusste, wie sehr ich doch damit kämpfen würde, rein gar nichts mehr zu hören. Ich fühlte mich, als triebe ich orientierungslos durch das Weltall, anstatt aber die Sterne, die Planeten und die Stille genießen zu können, musste ich mich übergeben, weil mein Körper mit dieser Orientierungslosigkeit nicht zurecht kam. Ich würde es nicht als Schwindel beschreiben, viel mehr als eine Art Seekrankheit, gefangen in einer Taucherglocke, gefangen in der absoluten Lautlosigkeit. Ich fühlte mich –trotz der Liebe der Menschen die mich umgab- sehr einsam und allein. Ich bereute den Schritt nicht mich zeitgleich bilateral versorgen zu lassen, aber ich musste erkennen: Ich hatte es unterschätzt.
Und dann, ging es rasend schnell
Gerade als ich mich mit dem Taubsein arrangiert hatte, wieder Sport treiben konnte und die quälenden Wochen hinter mir lagen, stand Anfang Oktober die Erstanpassung bevor. Ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, wie groß meine Erwartungshaltung war. Auch wenn ich mich selbst und vor allem die Ärzte und Therapeuten immer wieder gebremst hatten, um mich vor einer Ernüchterung zu bewahren, mein Ehrgeiz war zu groß, als dass ich etwas anderes erwarten konnte und wollte, als sehr gut zu hören.
Am ersten Tag der Aktivierung und dem Anlegen der Audioprozessoren erreichte ich beim Sprachaudiogramm im Freifeld bei den Zahlen 90% und bei den Wörtern 45% Verständlichkeit. Am zweiten Tag lauteten die Ergebnisse Zahlen 100% und Einsilber 80%. Wohlgemerkt mit beiden CI. Seitengetrennt waren die Ergebnisse deutlich schlechter. Mein linkes Ohr hinkte enorm hinterher und ich kam gerade mal auf Werte um die 20%. Schnell zeigte sich: Meine Entscheidung war die richtige. Ich frage mich auch heute noch wie ernüchtert ich wohl gewesen wäre, wenn ich bspw. mit der linken Seite begonnen hätte. 2 Wochen später konnte ich tatsächlich behaupten wieder zurück in der Welt der Hörenden zu sein, denn die Erfolge stellten sich auch im Alltag, fern jeder hilfreichen Laborbedingungen ein. Die Kommunikation funktionierte auch bei Störgeräuschen schon sehr gut. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal in der Lage gewesen war, während des Autofahrens so umkompliziert und ganz ohne Mundbild eine Unterhaltung zu führen. Ich habe meine Mama mit einem Anruf überrascht und mich selbst damit, dass ich alles verstehen konnte. Ich begann wieder Musik zu hören, Klänge und Melodien formten sich. Meine Stimme wurde tiefer und klang schon fast wieder wie gewohnt. Ich hatte mir einen MP3 Player gekauft, genoss Hörbücher und übte fleißig. Natürlich lag noch ein langer Weg vor mir, aber ich freute mich darauf ihn zu gehen. 4 Wochen nach der Erstanpassung wurde die Empfindlichkeit der Mikrofone von 80% auf 100% und insgesamt die Lautstärke erhöht. 100% Verständlichkeit bei Zahlen und 90% Verständlichkeit bei den Einsilbern, lautete das Ergebnis und ich wollte mehr. Ich verliebte mich in viele verloren geglaubte Geräusch wieder neu, das Geräusch von Regen, der auf die Dächer prasselt, das Herbstlaub, wenn die Blätter rascheln, das Prickeln und Zischen von Mineralwasser.
Die 2te Reha in Bad-Bauheim
Am 02. Januar 2013 trat ich meine Reha in Bad-Bauheim an und manchmal sagen Zahlen mehr als tausend Worte.

Als ich in die Klinik kam, stellten sich viele (und ich mir natürlich auch selbst) die Frage: “Kann ich meine ohnehin schon sehr guten Hörerfolge überhaupt noch verbessern?”. Der Screenshot zeigt meine Werte zu Beginn der Reha (Aufnahme am 02.01.2013) und bei der Entlassung (06.02.2013). Durch gezieltes Hörtraining und durch “Feintuning” bei den CI-Einstellungen lässt sich diese Frage eindeutig beantworten: “Ja, die Reha hat mich nochmal ein gutes Stück weiter gebracht”. Natürlich machten mich diese Spitzenwerte unheimlich stolz. Das Erste, was ich jedoch nach den letzten Tests tat, war, mich in mein Zimmer zurück zu ziehen, da mich Tränen überkamen, vor Glück, vor Erleichterung, aber auch mit einem merkwürdigen Gefühl voller Trauer und Schmerz. Meine Schwerhörigkeit hat mich mein Leben lang begleitet und ich kann es auch heute noch nicht wirklich greifen. Eine Lebensaufgabe, die mich so lange bewegt hat, war erfolgreich zu Ende gegangen.
Ein Moment, der mich geprägt hat
Das Thema Musik hören ist für viele CI-Träger (oder “Anwärter”) ein sehr spezielles. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage: Es ist ein Genuss geworden. Über die Boxen der Anlage klang vieles schon sehr gut, aber während der Reha habe ich eine neue, großartige Entdeckung gemacht. Nachdem ich bisher oftmals über eine Audioschleife meine mp3’s laufen ließ (Guthörende können sich dies in etwa wie ein Bluetooth-Headset vorstellen) und mich an den “Küchen-Radio-Sound” gewöhnt hatte, fragte mich hier einer der Therapeuten doch glatt: “Wieso benutzen sie keinen normalen Kopfhörer, der auch einen ordentlichen Übertragungsbereich hat?”. Gute Frage, im Tieftonbereich verfüge ich zudem ja noch über Hörreste. Ich konnte mir zunächst nicht vorstellen einen Over-Ear-Speaker zu finden, der nicht nur meine Ohrmuscheln, sondern auch noch den Audioprozessor umschließt. Zudem war ich skeptisch, ob der Sound tatsächlich angenehm übertragen wird. Ich sollte mich irren. Als ich das erste Mal meine neuen Kopfhörer erlebte, war Gänsehaut angesagt, und ich hätte am liebsten geheult. So sah man mich fortan des Öfteren, kopfnickender- und tänzelnderweise mit meinen Kopfhörern spazieren gehen. Mein zweites Gänsehaut-Gefühl kam dann bei einem Spaziergang mit einer von Geburt an Gehörlosen. Sie wurde ebenfalls implantiert, hat aber im Gegensatz zu mir keinerlei Sprachverstehen, was wahrscheinlich auch nie der Fall sein wird. Ich kann von Glück sagen, dass meine Schwerhörigkeit und die Ertaubung erst nach der Entwicklung meines Sprach- und Hörzentrums erfolgten. Dennoch, Daniela ist ihr Name, strahlte bei dem Spaziergang genauso wie ich, obwohl sie keine Musik hörte. Wir gebärdeten und ich fragte sie, warum sie lacht, und sie antwortete mir, sie liebt das Geräusch wenn der Schnee unter unseren Füßen knirscht und sie das Gezwitscher der Vögel hört.
Nicht zuletzt, meine Danksagung
Mein grenzenloser Dank geht an Frau Dr. Silke Helbig, stellvertretend für das gesamte Team des KGU, sowie an Frau Lisa Manow und die Ärzten und Therapeuten der Kaiserberg-Klinik. Ohne sie hätte ich diese Entscheidung so nicht getroffen, ohne sie stände ich heute nicht hier.